Pink Viagra – Die Lustpille für die Frau?
Eine kritische Stellungnahme des Berufsverbandes für Heilpraktikerinnen LACHESIS
Der Wirkstoff Flibanserin, auch "Pink Viagra" genannt, hat nun in den USA die Marktzulassung erhalten und ist somit jetzt auch in Deutschland erhältlich. Für uns ein Anlass, einmal genau und kritisch hinzusehen.
Ursprünglich wurde Flibanserin als Antidepressivum entwickelt und getestet. Es wirkt zentral, indem es im Gehirn sowohl am Serotonin- als auch am Dopaminrezeptor ansetzt. Als Resultat werden sowohl die Serotoninausschüttung gehemmt als auch die Ausschüttung von Dopamin und Noradrenalin erhöht. Serotonin hat eine hemmende, Dopamin und Noradrenalin haben eine steigernde Wirkung auf sexuelles Erleben und Verlangen. Daher kann Flibanserin angstlösend und luststeigernd wirken, wenn es täglich und dauerhaft eingenommen wird. Das Mittel soll bei dem Krankheitsbild einer „hypoaktiven Sexualstörung“ eingesetzt werden. Nach amerikanischen Studien sind von dieser „Störung, wo frau will, aber nicht kann“, also trotz Wollen keine Lust empfindet, nur 7% der Frauen betroffen. Viele Forscher_innen zweifeln überhaupt an der Existenz dieses Krankheitsbildes, da sich die weibliche Sexualität aus viel mehr Faktoren zusammensetzt.
Der - gravierende - Unterschied zum Mittel für den Mann zeigt sich in dem zentralen Wirkmechanismus. Flibanserin wird eben nicht „mal schnell“ im Bedarfsfall eingenommen, sondern ist für die Dauermedikation gedacht, um das Verhältnis der oben genannten Neurotransmitter dauerhaft zu beeinflussen.
Das bedeutet: Frauen sollen wieder einmal durch die tägliche Einnahme eines Medikaments kräftig die Pharmaindustrie unterstützen.
In Analogie zu Viagra wiederum war aber auch die Entdeckung der luststeigernden Wirkung von Flibanserin eher dem Zufall geschuldet. Als sich in den Studien für die Diagnose „Depression“ nicht die gewünschte Wirksamkeit einstellte, schauten die Untersucher_innen nochmal genauer hin. Dabei fiel ihnen auf, dass einige der Patientinnen über eine Zunahme der sexuellen Erlebensfähigkeit berichteten, und die weitere Entwicklung von Flibanserin nahm einen komplett neuen Verlauf. Die Frage, ob hier nicht eher ein (künstlicher) Bedarf geschaffen wurde, um ein (zufällig) vorhandenes Angebot an die Frau zu bringen, stellt sich automatisch und ist sehr berechtigt.
In Studien zeigte sich unter der Einnahme von Flibanserin tatsächlich eine kleine Steigerung sexuell befriedigender Erlebnisse. Allerdings stieg deren Zahl auch unter der Gabe von Placebo-Medikamenten an, wenn auch nicht im gleichen Maße.
Die Liste der Nebenwirkungen verdeutlicht jedoch, dass diese kleine Steigerung teuer erkauft ist. Die Versuchsteilnehmerinnen klagten häufig über Übelkeit, Schwindel und Müdigkeit. Zu Angstzuständen, Herzreaktionen, Schlaflosigkeit, Mundtrockenheit, Abdominalschmerzen sowie Verstopfung kam es immerhin noch bei 1 - 10 % der Probandinnen. Bei gleichzeitiger Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, der Anti-Baby-Pille, von Triptanen oder auch Alkohol kam es zu einer Verstärkung der Nebenwirkungen. Interessant zu wissen ist dies vor allem deshalb, weil genau diese genannten Medikamente oftmals mit einer Verminderung des persönlichen Lustempfindens einhergehen. Daran ist die Absurdität einer solchen gesundheitsschädlichen Medikation zu sehen. Außerdem ist bisher noch nicht abzusehen, was die Dauermedikation mit Flibanserin an Langzeitfolgen und -schäden für die Frauen bringen wird.
Wir kritisieren, dass mit „Pink Viagra“ aus einem verminderten sexuellen Verlangen der Frau ein „behandlungsbedürftiger“ Krankheitszustand wird.
Unserer Erfahrung als Therapeutinnen nach ist es vielmehr so, dass sexuelle Lustminderung eher Symptom und Folge anderer Beschwerden - und vor allem der Lebensumstände - ist, als eine eigenständige Krankheit. Lustlosigkeit hat viele Ursachen (und wird von betroffenen Menschen nicht unbedingt als Problem wahrgenommen). Warum also das Symptom ausschalten, anstatt die Ursachen anzugehen (falls gewünscht)? Mit „Pink Viagra“ wird Frauen wieder einmal suggeriert, dass sie einfach nur ein weiteres kleines Pillchen einnehmen können, um weiterhin in den geforderten Rahmen der perfekten und bequemen Frau zu passen.
Als Berufsverband für Heilpraktikerinnen kritisieren wir außerdem, dass in Bezug auf die reproduktive Gesundheit und Sexualität von Frauen vor allem wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Der Frauenkörper muss dazu herhalten, Bedürfnisse und Ich-Ideale auf Knopfdruck zu befriedigen, und das zerstört die Möglichkeit, eine selbstbestimmte erfüllte Sexualität leben zu können. Wir kennen dies schon aus den Bereichen Verhütung, Wechseljahre und Kinderwunsch.
Es ist an der Zeit ein altes Motto neu zu beleben: Mein Frauenkörper gehört mir!
* Damit die uns wichtige Stellungnahme nicht in Spamfiltern verschwindet, haben wir diese Schreibweise gewählt!
Januar 2016
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Download als PDF (mit abgekürzter Schreibweise von Viagra)
Hinweis zum PDF mit abgekürzter Schreibweise:
Wir haben in dem zweiten PDF eine andere Schreibweise für "Pink Viagra" gewählt, damit die Datei auch per Mail weitergeleitet werden kann. Durch massenhafte Spam-Mails zu Viagra landet eine Mail mit diesem Wort schnell im Spam-Filter. Wir hoffen, dass dieser Effekt mit der veränderten Schreibweise nicht auftritt.
Tipps:
- Der Deutschlandfunk / Eva Schindele
hat einen Hörfunkbeitrag zu diesem Medikament gemacht (17.1.2016) - Sehr lesenswerten Kommentar von Prof. Dr. Luise Pusch “My Heart belongs to Addyi”