Die Hospizbewegung als Brückenbauerin zwischen Leben, Sterben, Tod und Trauer
Ein Interview mit Agathe Bunch, ehrenamtliche Hospizbegleiterin im Hospizverein für den Landkreis Forchheim e.V.
Autorin:
Das Interview führte Doris Braune
Leseprobe aus der LACHESIS Nr. 52
mit dem Thema „Polarisierung überwinden- Brücken bauen“
Doris: Liebe Agathe, vielleicht sagst Du ein paar Worte zu Dir, zu Deiner Person und Deinem … und dem, was Du, was in dem Hospizzusammenhang Deine Aufgabe ist.
Agathe: Also, ich bin die Agathe, […] ich bin 62 und hab diesen Hospizkurs 2009 gemacht, und das hatte sich so ergeben, dass ich auf der Intensivstation mal wieder war mit meiner Mutter und im Nebenbett, wir waren nur getrennt durch so einen kleinen Paravent, ich konnte voll durchschauen, und dieser Mann, der lag offensichtlich im Sterben. Die Familie ist gegangen, und ich habe es nicht verstanden damals. Jetzt natürlich verstehe ich das schon. Und damals hat mich das enorm bewegt. Und dann habe ich die Schwester gefragt, ob ich rüber darf. Und dann hat sie gemeint: Jederzeit. Und dann war ich bei diesem Mann bis er starb. […] ich sitz jetzt noch da und habe Gänsehaut von oben bis unten, weil es mich heute noch bewegt. Das war für mich dieser Punkt, wo ich wusste, das ist meine Aufgabe für den Rest meines Lebens. Und ich mache das noch genauso gern, wie ich es gemacht habe vor 13 Jahren. Und der Kurs1, es lief alles Hand in Hand, ich habe das nicht geplant, ich bin von einem anderen Landkreis, in Forchheim lief dieser Kurs, und ich durfte mich anmelden. […] Und dann hat man einen, ich sag jetzt mal, Menschen nach dem anderen, und jetzt habe ich weit über 70 Menschen schon begleitet, und es ist jedes Mal ein anderes Sterben, es ist jedes Mal anders. Aber ich mache es immer noch mit Herzblut, mit Herzblut und mit Leidenschaft, das muss ich wirklich so sagen.
Doris: Darf ich Dich fragen, Du sagst, dass Du später verstanden hast, warum die Familie gegangen ist. Was hast Du da verstanden?
Agathe: Ich habe verstanden, was es auch heute noch ist. Manche Angehörige können nicht bis zum letzten Atemzug bleiben, die können es nicht. Das tut ihnen vielleicht zu weh, und ich denke, dieses Sterben, dieses Abschiednehmen, das machen ja manche schon Wochen und Monate im Voraus, und nicht erst beim letzten Atemzug. Und sie haben sich verabschiedet, aber ich hatte halt nicht verstanden, warum man nicht bleiben kann. Und ich sehe es auch jetzt in den Begleitungen, dass manche Menschen es wollen, und manche sagen, ich schalte den Hospizverein ein, ich schalte eine Begleitung ein, weil ich das nicht pack, emotional schaffe ich es nicht. Und dann kommen halt wir, und wir bleiben dran und wir halten es aus. So wie es in dem Text mit dem Brückenbauen war. Eine Brücke muss ja halten. Wenn ich über die Brücke gehe, dann habe ich nie den Gedanken, die Brücke könnte zusammenbrechen. Eine Brücke geht ja oft über das Wasser, und ich kann ja nicht schwimmen. Aber in dem Moment denke ich nicht dran, dass ich nicht schwimmen kann, sondern dass ich einfach weiß, diese Brücke hält. Und genauso halten wir. Und wenn die Angehörigen verstehen, dass wir stark sind in dem, was wir tun, dann denke ich, dass es auch ein leichteres Loslassen für die Angehörigen ist.
Doris: Und nochmal zu Deiner ersten Erfahrung damals. Dieser alte Mann, der ist dann in Ruhe gestorben, oder wie war das?
Agathe: Alt war er eigentlich nicht. Man ist neugierig, und ich habe dann auch die Schwester gefragt, sie erzählte, 62 war er. Er hat wesentlich älter ausgeschaut, muss ich sagen. Es war in der Intensiv, er war an allem angeschlossen und er … in der Intensiv ist Sterben anders. Das habe ich bei meinen Eltern gesehen. Meine Eltern sind beide auf der Intensiv verstorben, und es ist ja für mich auch ein Geschenk, dazubleiben bis zum letzten Atemzug. Und oft kann man das nicht, weil der Patient vorher verstirbt, aber ich war dabei, wie sie beide verstarben. Und … zuhause sterben ist auch anders als im Krankenhaus zu sterben. Und was ich sehr bewundernswert empfand, das hat mich enorm bewegt: Als der Mann verstorben war, sind zwei Schwestern gekommen, sie haben ihn mit unheimlicher Fürsorge und Liebe abgestöpselt. Das hat mich enorm beeindruckt. Die sind mit diesem toten Menschen, mit dem Körper umgegangen, als wenn er noch leben würde, sehr liebevoll, muss ich wirklich sagen. Das hat mich beeindruckt. Und wie gesagt, ich bin dortgeblieben, das waren vielleicht noch 20 Minuten, wo ich an seinem Bett saß. […] hatte ich einfach diese Zeit, was man gibt. Man gibt ja diesen Menschen seine Zeit. Und was gibt es Kostbareres, als die Zeit, die man zur Verfügung hat! In unserer Gesellschaft, wir können uns doch alles leisten, können doch alles kaufen. Die Zeit kann ich nicht kaufen, die kann ich nur schenken.
Doris: Zeit, und letztendlich doch Leben. Du kannst ja, wir können ja unsere eigene Sterblichkeit nicht … wir können ja nicht das ewige Leben kaufen.
Agathe: Nein, das können wir nicht. Manche denken zwar, da ist ja das mit dem Jungbrunnen, manche denken, sie können. Aber es ist, Gott sei Dank, nicht in unserer Hand.
Doris: Die … die Hospizbewegung, […] die ist ja angetreten, um genau dieses Sterben, das bei uns so outgesourct sind, so draußen ist …, um das wieder in die Gesellschaft reinzuholen. Würdest Du sagen, dass das gelungen ist?
Agathe: Vielleicht nicht ganz. Aber von meiner Erfahrung muss ich jetzt sagen, 2009 und 2022, es haben sich enorme Schritte getan, glaube ich schon. Es hat sich nach vorwärtsbewegt. Ich weiß, das war vielleicht vor zehn, elf Jahren, da hat einmal eine Frau, eine Angehörige zu mir gesagt: Aber Sie kommen schon nicht mit einem Auto, wo Hospiz draufsteht?! […] Da waren die Menschen noch sehr zurückhaltend. Aber jetzt denke ich, ist es nicht mehr so. Ich glaube, wir sind noch nicht da, wo wir vielleicht sein wollen, aber Gott sei Dank sind wir nicht dort, wo wir waren. […] Und ich würde schon sagen von meiner Seite aus: Jawohl, ein Gelingen.
Doris: Ich glaube, es gibt ja viele Gesellschaften, wo es ganz anders ist. Ich weiß von Mexiko, die haben da eine ganz andere Kultur. In Mexiko, aber auch in den indigenen Gemeinden, da bin ich ab und zu. Da habe ich mitbekommen, gibt es einen ganz anderen Umgang damit. Und dadurch, dass es normaler ist, dass die Toten nicht einfach zack weg sind […] Leben hat eine andere Qualität … es nicht so verdrängt ist.
Agathe: Ich kann mich auch erinnern, als wir Kinder waren … ich bin ja in einem ganz kleinen Dorf aufgewachsen […] und da sind wir zu den Häusern gegangen, auch als Kinder, und an den Betten, an den Sterbebetten, wenn die tot waren, oder wenn die im Sterben waren, ist gebetet worden. Und ich weiß noch, wie meine Oma starb, die wurde bei uns aufgebahrt im Hof, und da ist mit dem ganzen Sterben … das war normal. Und dann war irgendwann einmal ein Zeitpunkt in der Gesellschaft, da sind dann die Menschen, […] die sind fortgeschafft worden. Die sind dann in die Krankenhäuser gekommen, in die Heime gekommen, und sobald jemand in die Nähe des Sterbens kam, nur nicht zuhause. Und das, denke ich im Umkehrschluss, das kommt so langsam wieder. Dass die Menschen, es ihnen bewusst wird, dass in den Krankenhäusern, ich möchte jetzt fast sagen, schlechter gestorben wird als zuhause.
Doris: Wenn Du sagst, dass schlechter gestorben wird, was ist für Dich ein gutes Sterben?
Agathe: Ein gutes Sterben wäre für mich, ich muss immer an mich denken, an meine Familie. Schau, meine Familie, meine Mama, mein Papa, die durften nicht zuhause sterben, […] sie wurden halt ins Krankenhaus gebracht. Zuhause ist ein Zuhause, da gibt es ja so eine schöne Sendung bei uns, die heißt: Dahoam is Dahoam2, und es ist einfach … es ist so, du fühlst dich geborgen. Und ich denke, dieses gute Sterben ist auch, wenn ich mit mir im Reinen bin, mit Menschen im Reinen bin, wenn ich versöhnt bin. Versöhnung, das merkt man ja oft, wenn man in die Häuser geht oder in die Heime geht, da sind oft Zwistigkeiten zwischen Familien. Und da stirbt es sich schlechter. Wenn Menschen ein erfülltes Leben haben, das muss nicht unbedingt heißen, im Jahr fünfmal im Urlaub zu gehen. Erfüllt, wenn Du vielleicht ein Stück weit mit Deiner Familie im Reinen bist, mit Freunden, mit Nachbarn. Und dieser Streit nicht da ist. Das ist für mich friedvoll und versöhnt. Und da ist das Sterben, ja, ich denke, leichter. Auch wenn …, wir haben ja sehr oft mit der SAPV3 zu tun, und wenn die Menschen dann keine Schmerzen haben … und oft haben sie auch furchtbare Angst, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Und das war auch ein Stückweit Brückenbauen: Dass die Hospizbewegung und die Medizin sich vielleicht verknüpft haben. Vielleicht noch nicht perfekt verknüpft haben, aber die Verknüpfung ist da. Ich kann jetzt nur sagen von unserer SAPV …, wenn ich am Sterbebett bin und die SAPV … das hatte ich erst letzte Woche … das war schön, weil diese Ärztin, die ist schon mal anders dem Patienten gegenüber. Und die sieht auch immer uns, und schaltet uns auch immer ein, … die Frau Dr. Schneider. Und da ist im Raum schon eine andere Atmosphäre da. Die sieht, dass Menschen von Menschen begleitet werden müssen. Und die schaut auch oft dahinter. Und die merkt dann auch sofort: Ei, da könnten wir jetzt eine Hospizbegleiterin brauchen, die vielleicht auch die Angehörigen unterstützt. So war es jetzt bei mir vor einer Woche. Der Angehörige hat mich vielleicht ein Stückweit mehr gebraucht als der Patient selber, weil er sediert war. Und manchmal sind wir auch da, um diese Brücke zu sein für die Angehörigen. Und das ist für mich besseres Sterben, wenn einfach … wie soll ich es sagen … wie so eine Verknüpfung da ist. Oder diese Brücke.
Doris: Und sag mal, dann ist das ja eine absolute Katastrophe gewesen mit Corona, also, weil man genau das ja nicht möglich gemacht hat. Dass Menschen Menschen begleiten. Also, man hat ja die Menschen quasi mutterseelenalleine durch ihren Sterbeprozess gehenlassen.
Agathe: Doris, weißt Du, wie ich das nenne? Unverzeihlich! Unverzeihlich! […] Aber ich durfte, Gott sei Dank, ich durfte ins Heim gehen. Kommt immer auch auf die Leitung vom Heim an. Ich durfte auch ungeimpft in dieses Heim gehen, ich habe meinen Test gemacht, war überhaupt kein Thema. Und wenn Du eine Heimleitung hast, die noch den Menschen im Blick hat, dann finden die einen Weg, dass Du hindarfst. Ich durfte auch ins Krankenhaus gehen. Jetzt stell Dir vor, die Angehörigen durften nicht hin, ich durfte hin. Konnte ich nicht verstehen, ich habe dann mein Handy … Kamera eingeschaltet, und ich war vernetzt mit den Angehörigen. Aber da war ich auch dankbar drum. Ich … ich habe es nicht verstanden, aber ich wollte nicht so viel Rabatz machen, weil ich gedacht habe, wenn ich jetzt meinen Mund vielleicht zu weit aufmache, darf ich auch nicht mehr hin. Aber ich bin ja auch Trauerbegleiterin, und meine Trauer, sage ich jetzt mal, diese Menschen, diese Frauen und Männer, die habe ich dann … wir haben telefoniert. Aber für die Sterbenden oder jetzt auch für die Heimbewohner … da war ein Mann, der hat zu mir gesagt: Lieber sterben als sowas nochmal erleben! Ganz schlimm! Und dieses …, da müssen Menschen Rechenschaft ablegen, was sie da getan haben. […]
Doris: Und, ich meine, gleichzeitig war es ja so, dass in bestimmten Phasen zum Beispiel Partner nicht ihre gebärenden Frauen ins Krankenhaus begleiten durften. Du kannst sagen, am Anfang vom Leben und am Ende vom Leben … die wichtigsten menschliche … das Wichtigste, das für einen Menschen da ist … geborgen sein, im Anfang und am Ende, wurde im Grunde genommen … ausgesetzt, als ob man das könnte. Man kann das gar nicht. Wenn Du, also, wenn wir jetzt mal diese grausamen Corona-Zeit weglassen und hoffen, dass ihnen da nicht neue Dinge einfallen, weiß man nicht …, was sind Deine Erfahrungen in der Begleitung, was ist für die sterbenden Menschen das Wichtigste, was, wenn sie noch reden … was sprechen sie, was ist ihnen ein Anliegen?
Agathe: Manche haben Angst. Und diese Angst, die kann man ihnen vielleicht schon ein Stück weit nehmen. Manche wissen einfach nicht, was danach kommt … Und ich meine, ich habe halt immer Gott im Blick, weil ich ja gläubig bin. Und ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, wenn ein Mensch am Sterbebett Gebet hat, und er es möchte, hat in all den Jahren kein Mensch Gebet angelehnt, keiner. Und ich … das ist Trost, das ist für mich Trost. Wenn ich doch weiß, also das ist jetzt mein Glaube, wenn ich weiß, wo ich hinkomme, dann weiß ich doch, ich habe vielleicht hier ein Sterben, aber dort ein Leben, und ein ewiges Leben. Die ältere Generation, die alten Mütterle, wie ich es immer sage, denen ist das voll bewusst. Und sie reden auch oft sehr gerne darüber.
Doris: Was sagen sie?
Agathe: Die sagen halt immer noch dieses wunderschöne Wort, das man gar nicht mehr hören mag: Mein Heiland. Das gefällt mir immer so: Mein Heiland. Mein Heiland wird mich schon gut rüberbringen. Oder es ist ja auch ein Nach-Hause-Gehen. Ein Nach-Hause-Gehen, wo Paulus gesagt hat: Christus ist mir alles, aber Sterben ist mir Gewinn4. Und viele, die dann hier gehen … junge Menschen haben dieses Bewusstsein nicht, junge Menschen … manche sind auch verbittert, weil sie nicht verstehen, dass sie so jung aus dem Leben gerissen werden … aber ältere Menschen, die sehen ihr Leben als erfüllt an. Manche, die vielleicht achtzig oder neunzig sind, manche sagen: Was tue ich denn noch hier? Warum lassen sie mich denn nicht sterben. Es sind Tränen am Bett, die fließen. Es sind aber auch, für mich, ganz ehrlich, ist das oft eine Erfüllung, … weil, es ist so, dass ich ihnen vielleicht etwas vorlese oder ihnen mal die Hand halte oder über Alltägliches spreche. Auch in meinem Leben, als ich damals unseren kleinen Hund bekam, da habe ich ein altes Mütterle gehabt, und die wollte immer von meinem Hund wissen. Und dann habe ich ihr mal Bilder mitgebracht, und dann haben wir über den Hund geredet. […] Ich sitze halt oft am Bett … Da ich ein sehr kommunikativer Mensch bin, reden, na reden … ich hatte jetzt neulich einen Patienten, und der hat gesagt: Ich will eine Frau, die nichts sagt, die nicht redet. Und dann haben sie mich geschickt, dann habe ich gedacht: Okay, das hat wohl auch seine Berechtigung. Vielleicht muss ich was lernen, dass ich mal meinen Mund halte. Aber schau, wie Gott will, wollte der Sohn, der war das Gegenteil von seinem Papa, und der hat mir von seinem Leben erzählt, wie hart das war mit dem Papa. Aber er hat ihn begleitet bis zum Schluss, weil er es ihm versprochen hatte. Das sind so viele Geschichten, die man da erzählen könnte. Natürlich, wir haben Schweigepflicht, aber es sind auch Begegnungen, wo ich erfüllt aus dieser Begegnung rausgehe. Begegnungen, die man nicht vergisst.
Doris: Kannst Du das sagen, was Dich da erfüllt, was das für Dinge sind, oder für … ja Kontakte, Erfahrungen?
Agathe: Ich sag jetzt mal, es sind sogar Freundschaften entstanden. Weil … du hast jetzt Menschen, […] oft ist ja so, dass du einen Menschen länger begleitest, meine längste Begleitung war zwei Jahre, das war meine erste Begleitung, […] Und dann bin ich bei ihr geblieben bis früh um halb drei, und um halb drei hat sie den letzten Atemzug gemacht. Und das war für mich … wunderschön. Wunderschön, weil ich sie zwei Jahre lang begleiten durfte, und dann ist es mir geschenkt worden, so sehe ich es, dass ich auch beim letzten Atemzug dabei sein durfte. Und dann war sie nicht mehr alleine. Und ich denke einfach, wenn du Menschen das schenkst, dass sie nicht mehr alleine sind … viele habe einfach diese Angst, alleine zu sein, einsam zu sterben. […]
Doris: Du hast gesagt, dass es Jüngeren oft anders geht. Also, Jüngere, die früh sterben. Ich nehme mal an, dass die meisten an so einer Erkrankung wie Krebs sterben … und, ja, da würde ich gerne noch ein bisschen Dich fragen, weil, ich denke auch, dieses Losgelöst-Sein vom Zyklus des Lebens, also, diese Nicht-Verbunden-Sein, nicht mit dem Leben, mit dem Kosmos sozusagen, dass das ja eine wahnsinnige Auswirkung hat. Und Du sagst ja, dass die dann oft verbittert sind, oder dass das oft ein sehr schweres Sterben ist. Habe ich das richtig verstanden?
Agathe: Ich denke, oft ist es so, wenn es dann zum Schluss, zum Schluss, wenn sie wissen … oft ist ja auch diese Verneinung, dieses Nicht-wahr-haben-Wollen, wenn es aber dann zu diesem Punkt kommt, dass sie wissen, sie haben vielleicht noch ein, zwei, drei Wochen, dann, ich denke, ist diese Verbitterung auch nicht mehr so stark wie im Anfang. Im Anfang ist, das weiß man ja selber, ist dieses Nicht-wahr-haben-Wollen, und wenn du es verneinst, wenn du es nicht wahrhaben willst, vielleicht passiert es dann auch nicht! Und, ich denke, so ist es. […] Ich glaube auch, oft ist es so, wenn ungeklärte Dinge da sind … ungeklärt, ich meine, … wo du noch Dinge machen musst, finanziell. Wo du vielleicht mit deinem Ehemann noch einiges klären müsstest, oder mit den Kindern. Also, für mich muss ich wirklich sagen, wenn ich jetzt gehe, ich denke jetzt gar nicht drüber nach, dass ich jetzt von dieser Welt scheide, weil ich ja weiß, dort geht es weiter. Aber ich denke oft an meine Tochter, ich denke oft an sie … denke ich: wird sie es denn schaffen? Wird sie es denn … das ist oft der Gedanke, dass die Menschen oft an ihre Angehörigen denken. Und an das Leben, das sie zurücklassen. Weil, wenn der Punkt dann da ist, wo man sagt, jetzt ist es Zeit, dann denke ich, ist das Loslassen so … geschenkt dem Menschen, dass er das dann auch kann.
Doris: Du hast ja auch gesagt, dass niemand ein Gebet ablehnt, niemand. Egal, ob sie gläubig sind oder nicht.
Agathe: Für mich immer tröstlich, weil für mich … es gibt einen Schöpfer. Und würde denn der Schöpfer es nicht wollen, wenn er uns erschaffen hat, dass er uns dann als Waisenkinder zurücklässt?! Und uns nicht in sein Zuhause möchte?! Ich kann mir das nicht vorstellen! Also, für mich …, ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die nicht an Gott glauben. Aber weißt Du, Doris, ich könnte dieses Ehrenamt … ich nenn es immer wieder EHRENAMT, weil es mir eine Ehre ist, das zu tun …! Und ich könnte es nicht tun ohne Ihn, ich kann es nicht. […] Gott macht die Türen auf, und der Mensch darf entscheiden. Immer der Mensch selber, nicht ich, ich kann niemanden etwas überstülpen, niemanden. Es ist der Mensch, der letztlich seinen freien Willen hat, und den hat uns Gott auch überlassen, den hat er uns nicht genommen, den haben wir. Auch in dieser Zeit. Ob es Pandemie ist, oder ob es Glauben ist, den freien Willen, Gott sei Dank, den haben wir.
Doris: Also, ich stelle nur fest, zu mir selber kann ich sagen: Ich glaube, ich bin nicht gläubig in Deinem Sinne, aber ich bin schon auch …, also ich gehe nicht davon aus, dass wir leben und am Ende ist alles fertig, das glaube ich nicht. Ich habe nicht so eine festgefügte Vorstellung, meine spirituelle Vorstellung ist so ein bisschen … indifferenter, aber durchaus … es hat für mich eine totale Logik, weil, ich kann mir nicht vorstellen, das Leben beginnt und es endet, und dann ist Schluss. […] ich bin vor … glaub anderthalb Jahre über einen Physiker und Mathematiker gestolpert, der ist jetzt Mitte achtzig6 und der heißt Roger Penrose7 und der hat auch einen Nobelpreis gekriegt … jetzt gar nicht lange her8, und … aber seine eigentliche Erkenntnis will niemand hören: Er sagt nämlich, der Kosmos ist zyklisch, d.h., vor dem Urknall gab es was anderes und gab es war anderes. Also, unsere westliche Gesellschaft … hat einen sehr technischen Blick auf die Welt, so nach dem Motto: Man kommt auf die Welt und dann stirbt man, und dann ist es fertig. Das ist aber sehr destruktiv, das kann man eigentlich kaum aushalten, so zu denken. Und dieser Mathematiker, der hat im Prinzip was anderes gesagt. Er hat gesagt, es gibt immer wieder einen neuen Beginn. Und hinter diesem immer wieder neuen Beginn muss es ja auch eine Schöpfung geben, wie auch immer man das nennen will. Und das finde ich sehr spannend. Aber der Umgang mit ihm ist, er kriegt einen Nobelpreis und gleichzeitig versucht man, seine wirklich wichtigste Erkenntnis zu negieren. […] Also, ich bin jetzt nicht in Deiner Arbeit, aber ich bin mir sehr sicher, weil Menschen das gar nicht aushalten können … so eine nihilistische Weltsicht, die hält man als Gesellschaft nicht aus. Und von daher, ich denke, selbst wenn man intellektuell denkt: Ja, ja, das ist so. Aber das beginnt doch schon …, eine Geburt ist so ein einmaliges Ereignis …, diese Verbundenheit zu … zu der nächsten Generation, selbst wenn du jetzt kein Kind geboren hast, also, dieses Verbundensein mit dem immer wieder neuen Leben, … und das dann sozusagen abzutun als … ja, diese nihilistische Sichtweise, ich glaube …, kann ich mir nicht vorstellen.
Agathe: Nein, und wie gesagt, Doris, ich will mir das nicht vorstellen, … natürlich bin ich auch manchmal konfrontiert, wir sind auch manchmal konfrontiert, wir als Hospizverein, wir begleiten ja nicht nur Menschen, die jetzt vielleicht an Gott glauben, […] Den Menschen musst du da abholen, wo er steht. Aber du darfst ihm, wenn er Fragen stellt, … wenn mich jemand fragt, Doris, werde ich nicht schweigen. Ich werde das sagen, was ich glaube. Ich muss ihm das nicht überstülpen, entscheiden darf dieser Mensch selber, so sehe ich es. […]
Ich war natürlich auch schon bei Menschen, die nicht an Gott geglaubt haben. Und wenn sie davon nichts hören wollen, ich werde sicherlich niemanden bedrängen, aber manche sind interessiert, sehr interessiert. Da habe ich eine Begegnung mit einem Mann gehabt, die habe ich nie vergessen. Der hatte alles erreicht in seinem Leben, er war Ingenieur und er hatte sehr viel Geld, und er hat seine erste Frau, die hat er verlassen für die zweite Frau. Und das hat ihn so beschäftigt, dann hat er …, dann hat er seine jetzige Frau rausgeschickt und hat dann eben gesagt, also, er möchte sich mit mir unterhalten. Ende sechzig wird er gewesen sein, und dann hat er mir das alles erzählt. Und hat gesagt: Ich habe nie an Gott geglaubt und ich möchte auch keinen Pfarrer, der jetzt meine Beerdigung hält, weil …, also, mit der Kirche […] er hatte ein enormes Problem mit der Kirche. Dann habe ich zu ihm gesagt, … da sind wir sofort eingestiegen. Wissen Sie was, habe ich gesagt, ich auch. Ich für mich, ist Kirche und Religion wie, ich glaube, der Stalin oder der Lenin gesagt hat, Opium fürs Volk9. Also ich, habe ich gesagt, Glaube ist für mich nicht Kirche, überhaupt nicht. Und dann hat er mir erklärt, dass er sich schuldig fühlt vor Gott, und er ist so dankbar … ich habe ihn nicht mehr gesehen … aber es war eine Begegnung, wunderschön, wunderschön. Ich war vielleicht eine Stunde bei ihm, und dann hat er gesagt: Was kann ich tun? Was kann ich tun, dass ich diese Schuld loswerde? Das ist oft eine Schuldfrage. […] Weißt Du, Doris, der saß im Bett, der hat geweint wie ein kleines Kind, und ich habe mitgeweint. Und das sind für mich Begegnungen, Doris, die kann ich nicht vergessen! Weil, es gibt ja einen Weg, um diese Schuld loszuwerden …, und ein Pfarrer kann mir diese Schuld nicht nehmen. […] Aber er hat halt jetzt in diesem Punkt …, und ich sag immer, wenn das keine Führung war, dass ausgerechnet ich …, warum haben sie mich geschickt? Warum haben sie mich geschickt zu diesem Mann? Weil ich ihm …, ich konnte ihm das sagen, was ich weiß. Und dann, weißt Du, was er dann gemacht hat? Er hat dann gesagt: Kann ich auch beten, so wie Du gerade gebetet hast? Freilich, habe ich gesagt, und die Schuld, die Last, die Du hast, die brauchst Du mir nicht sagen. Wenn ich zu diesem Raum rausgehe, habe ich gesagt, dann bekennst Du das vor dem Gott, dem Du glaubst. Und Du musst es keinem Pfarrer sagen. Und für diesen Mann, ich bin mir so sicher, so sicher, Doris, dass ich diesen Mann wiedersehen werde, so sicher. Das ist doch schön, wenn du jetzt einen Menschen, den du begleitet hast, … zu wissen, einst werden wir uns wiedersehen. Das habe ich auch zu meiner Mama gesagt am Sterbebett: Einst werden wir uns wiedersehen. Und deswegen mag ich dieses Lied, das von diesem Gabalier, wenn er dieses schöne Lied singt: Einst werden wir uns wiedersehen10. … Versteht Du, das ist diese … diese Freude an diesem Ehrenamt, schau, das sind jetzt fast 13 Jahre, aber du vergisst manche Begegnungen nicht, du vergisst sie nicht. […] Es ist ein Dienst, muss ich dazusagen, der schon auch manchmal an die Substanz geht. Das ist so. Aber du, als Hospizbegleiter, damals, das habe ich gut mitgenommen, damals dieser Satz: AUSHALTEN, aushalten. Den Schmerz, den die Menschen empfinden, die Wut, die sie empfinden, … und einfach mal am Bett sitzen und aushalten. Und das, Doris, ist oft das Schwerste, aushalten. Wenn du keine Worte hast, wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, einfach nur da sein.
Doris: Und das wirkt sich dann aber beruhigend aus. Das Dasein eines anderen Menschen, seine Empathie … das wirkt sich hilfreich aus.
Agathe: Ja, so sehe ich es, so sehe ich es. Sonst bräuchte man das nicht tun.
Doris: Weil da Bindung passiert. […]
Agathe: Ich habe auch damals gesagt, ich möchte die Trauerausbildung11 machen. Weil, es gehört für mich zusammen, Hospizbegleiter und Trauerbegleiter. Weil Trauer hast du ja schon lange vorher. Trauerst, weil du immer weißt, es wird hier zu Ende sein. Darum ist es auch wichtig, dass man auch von dieser Arbeit, von dieser Trauerarbeit etwas weiß.
Doris: Und was ist ein wichtiger Teil in dieser Trauerarbeit? Also, … ich habe verstanden, Hospizarbeit ist diese Begleitung, das Dasein, das Verbundensein. Und wie würdest Du sagen ist die Trauerarbeit nochmal darüber hinaus?
Agathe: Das ist … über Dinge reden. Die Menschen wollen eigentlich immer reden. […] Ich weiß, die erste Trauerbegleitung, die ich hatte, war für mich jetzt die schwerste, die war sehr schwer. Weil … seine Frau war noch sehr, sehr jung, die war Mitte dreißig, und er hatte ein Baby. Was für Antworten kannst du diesem jungen Mann sagen? […] Er hat gesagt, das Schlimmste für ihn war das Sterben. Dabei zu sein, zu wissen, jetzt ist es vorbei, das war das Schlimmste. Und darüber wollte er reden. Die haben dann auch Dinge zu bewältigen dann … oft sind es finanzielle Schwierigkeiten, wenn nichts geklärt ist. Das ist oft dieses Problem. Dinge sind nicht geklärt. […] Und ich denke, wenn du Dinge geklärt hast, sei es jetzt mit einem Testament oder notarisch, und das Finanzielle ist geklärt, dann hat man dieses Problem schon nicht. Ich meine, Du hast einen Riesenschmerz in dir, weil du diese Person, die du geliebt hast, oder auch nicht, […] Oft wollen sie sich nur mal aussprechen, mal Dinge von der Seele reden, und oft ist es auch so, dass sie zuhause … sie sagen: Meine Freunde können es nicht mehr hören, und ich brauche jetzt jemanden, dem ich das noch alles erzählen kann. Und dann kommen sie das zweite Mal, das dritte Mal, das vierte Mal, das fünfte Mal und dann …: Ich muss schon wieder darüber reden. Ich sage: Bei mir können Sie das immer erzählen. […] Aber manche müssen es halt hundertmal erzählen. Einfach …, die wollen einfach nur reden. Aber es geht ja auch um das Sterben, um den Tod und warum und wieso, ich finde, das gehört zusammen, das gehört zusammen.
Doris: Und sag mal nochmal, der Mann, der seine Frau so jung verloren hat, ist die auch an Krebs gestorben?
Agathe: Ja, die ist an Krebs gestorben, und zwar hatte die Gebärmutterhalskrebs. Und seine ganze Hoffnung lag an einer Immuntherapie, und die hätte 100 000€ gekostet, und die Krankenkasse hat es abgelehnt. Und darüber hat er …, ich habe ihn fast neun Monate begleitet, und er ist darüber nicht hinweggekommen. Aber ich habe ihm auch mal gesagt: Keiner von uns weiß, weder Sie wissen es, noch ich, noch ein Arzt. […] Und manche Dinge, die konnte ich ihm auch nicht beantworten, kann ich ja nicht. Aber … dieses mit den Ärzten hat er sich … da war er oft schmerzlich, … warum die Ärzte es so gemacht haben … Aber wenn du deine Frau in die Uniklinik gibst, dann musst du fast … du bist ja auch ausgeliefert. Die wollen ja dem Menschen helfen, sag ich jetzt mal. Aber manches Mal geht es auch schief.
Doris: Ich würde sagen, ja, insbesondere oft bei … also, den Krebsbehandlungen bei jungen Menschen. Demnach ist es eigentlich so, wenn da ein schweres inneres Thema ist, das gar nicht ans Tageslicht darf, dann ist die Heilfähigkeit des Körpers sehr reduziert. […] Es gibt viele Faktoren, die diese Krebserkrankungen begünstigen. Das fängt an mit Verhütungsmittel, Hormongaben, Umweltgifte. Aber aus meiner Erfahrung ist das oft in Verbindung mit einem inneren, schweren und nie richtig angeguckten inneren Thema. […] Und klar, ich denke, dass die in Krankenhäusern oft eine gute Arbeit machen, dass die Krebserkrankungen … der Tumor wird weggeschnitten … Aber, wenn nicht die andere Ebene Raum kriegt, dann ist das oft sehr schwierig.
Agathe: Ha ja, Doris, weil der Mensch nicht ganzheitlich gesehen wird. […]
Doris: […] Ich selber handhabe es so, erstens rede ich gar niemanden irgendwas rein, ich begleite so ähnlich, wie Du das auch sagst. Ich begleite sie so, wie sie das möchten. Und die meisten möchten alles, was ihnen die Schulmedizin bietet. Manches davon finde ich auch ganz sinnvoll, manches machen sie einfach, damit überhaupt etwas gemacht ist. Aber, wenn die andere Seite nicht auch unterstützt wird, dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass in vielen Fällen, trotz manchmal guter Prognose, der Körper dem nicht gewachsen ist. […] Wenn ein Schmerz überhaupt nicht zugelassen wird, und das über viele Jahre immer weggedrängt wird, dann raubt das dem Menschen die Energie zum Leben. […] Dieses Nichtzulassen von dem Schmerz, das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger … Weil, dafür gibt es keine technische Lösung. Weißt Du, also, vom Tumor kannst du sagen, es wird weggeschnitten, und dann machen wir diese, dann machen wir jenes. Aber der Schmerz bedeutet, du musst in Kontakt mit deinem Schmerz gehen, du musst dich mit ihm …
Agathe: … identifizieren. […]
Doris: Weil, das ist eine sehr schwere, eine sehr herausfordernde Sache, sehr herausfordernde … Arbeit, die Du da leistest.
Agathe: Ich sehe es jetzt nicht als Arbeit, ich sehe es als Aufgabe, Doris.
Doris: Als Aufgabe, ja. […]
Agathe: Du kannst ja zuhause sitzen und kannst Socken stricken, oder du machst dich auf und machst das, wo es deine Berufung ist. Eine Berufung. […] Ich habe jetzt meine Freundin begleitet, die Freundin, die ist jetzt aber schon älter gewesen, das war so eine Mama-Freundin, die wohnt nur drei Häuser weiter weg von mir … und die habe ich jetzt begleiten dürfen […] Und da war es eine Herausforderung, weil ich die ganze Nacht dort war. Und wenn du dann zehn Stunden am Bett bist und … ist es auch ein Aushalten. Aber ich bin so dankbar, dass ich bei solchen Menschen, die mir so viel bedeutet haben, dass ich da dabei sein darf. […]
Früher war es ja ganz anders. Früher war ja das … ich muss sagen, schon sehr ehrfürchtig und eng und … und da hat sich auch etwas getan. Wo Menschen die Sache jetzt etwas, ich möchte jetzt sagen, moderner angehen, ob das immer … wie der Mensch das halt möchte. Manche verankern das in ihrem letzten Willen, manche wollen auch keine schwarze Kleidung am Grab, das gibt es alles. Ob das jetzt eine Feuerbestattung, Erdbestattung … das hat sich ja auch gewandelt. […]
Aber ich möchte noch etwas sagen. Und zwar: Was uns vermittelt wurde im Hospizverein, und das ist tragfähig und … die sind ja auch Brückenbauer, die im Hintergrund. Ob das jetzt die Flora ist mit ihrem Vorstand, als Geschäftsleitung12. Ob das die Koordinatorinnen sind, diese Türen, die sind ja immer offen für uns. Ich muss sagen, ich bin ja, in Anführungsstrichen, nur Begleiterin. Ich muss mich da um nichts kümmern, um gar nichts. Ich darf nur gehen. Weißt Du, und was die machen müssen, das möchte ich jetzt nicht. […] Ich sag immer, dieser Kopf. Die sind der Kopf und wir sind der Hals.
Doris: Ja, ich glaube, dass es zeigt, dass eine große Kraft sich nur entfalten lässt, wenn man aus der Gemeinschaft oder … heraus agiert. Und dass man auch als einzelner Mensch viel tun kann, aber es eine ganz andere Wirkung hat. Und für mich ist eigentlich die größte Krankheit unserer heutigen Zeit, die auch zu Krieg, die auch zu Polarisierung führt, das ist dieses Abgeschnittensein, nicht in Verbindung sein. […] Auch Krieg ist ein Ausdruck von nicht mehr in Verbindung sein, von nicht mehr reden, nicht mehr sprechen, die eigene Wahrnehmung für die einzig richtige zu halten. […]
Agathe: Wenn man da reinblickt, fragt man sich schon, was ist dahinter. Wie geht es weiter? Solche Fragen habe ich auch. Das ist ja ein Stück weit, wenn die Quelle versiegt, kann kein Bach mehr fließen. Und wenn sie uns diese Gemeinschaft … das darf man sich nicht rauben lassen. Doris, da muss man aufstehen. Aufstehen. Und wenn ich nicht aufstehe, da draußen, in dieser Welt, aber ich kann aufstehen zuhause. Ich kann aufstehen in meinem Geist, in meiner Seele, und ich lasse mir das nicht rauben. Und da muss man hellhörig sein. Ich bin keine Marionette, meinen Verstand habe ich noch, und der hängt nicht an der Garderobe. […]
Doris: […] Ich will an den Kern kommen, und da muss man dann in einer wertschätzenden Weise sprechen lernen, darum geht es, glaube ich.
Agathe: Und ich denke auch, man muss nicht immer schweigen.
Doris: Ne.
Anmerkungen
1 Ausbildungskurs zur*m ehrenamtlichen Hospizbegleiter*in.
2 https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/dahoam-is-dahoam/aktuelle-folgen/index.html, abgerufen am 16. Juli 2022 um 17.02 Uhr.
3 SAPV: Spezialisierte ambulante Palliativversorgung.
4 Genauer: Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn (Phil 1, 21).
5 Die Koordinatorinnen: Hauptamtliche Mitarbeiterinnen des Vereins, zuständig für die Einsatzplanung.
6 Er ist 92 Jahre alt.
7 Sir Roger Penrose, britischer Mathematiker und Physiker, *08. August 1931.
8 Nobelpreis für Physik 2020 für den mathematischen Nachweis der Existenz von Schwarzen Löchern.
9 Karl Marx bezeichnete Religion als „Opium des Volkes“.
10 Andreas Gabalier: Amoi seg´ma uns wieder.
11 Ausbildung zum*r ehrenamtlichen Trauerbegleiter*in.
12 Geschäftsführender Vorstand des Hospizvereins.
Für dieses Heft musste das Interview eingekürzt werden. Das vollständige Interview und auch die Audiodatei erhalten Sie bei der Lachesis-Redaktion.
Haben wir Ihr Interesse für die Zeitschrift Nr. 52 geweckt?