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Menschen mit Demenz besser verstehen

Traumatisierungen im Leben alter Menschen

Autorin:
Brigitte Merkwitz, Diplom-Pädagogin, Praxis für Lebensgestaltung für die Generation 50 plus

Leseprobe aus der LACHESIS Nr. 42
mit dem Thema: "Ressourcenorientierte Traumatherapie"

 

Menschen mit Demenz verändern sich, legen plötzlich ganz neue Verhaltensweisen an den Tag, äußern ihre Emotionen anders als zuvor. Manchmal werden sie sogar anfallsartig von Gefühlsattacken überwältigt, die für Angehörige oder Pflegende schwer zu verstehen sind. Und genau das Verstehen ist der Schlüssel, um mit Ihnen liebevoll und angemessen umgehen zu können.
Die Zahl an Demenz betroffener Menschen steigt ständig, von jetzt mehr als 1,3 Millionen auf etwa 2 - 2,5 Millionen in den kommenden 20 Jahren. Dennoch besteht eine Tabuisierung der gesamten Thematik, die sowohl mit individuellen Ängsten als auch mit einer gesellschaftlichen Bewertung zu tun hat.
„So kenne ich meine Frau / meinen Mann / meine Mutter / meinen Vater gar nicht. Früher war sie / er ganz anders.“ Häufig sind solche Aussagen von pflegenden Angehörigen zu hören, sie sind Ausdruck von Hilflosigkeit, Enttäuschung, Verlust und auch Unverständnis.(...)

Mein Blickwinkel, Menschen mit Demenz besser verstehen und begleiten zu können, geht dahin, belastende Lebensereignisse bis hin zu Traumatisierungen zu erforschen und somit Zusammenhänge zu Demenzen als auch entsprechende Möglichkeiten der Begleitung zu erkennen und vorzustellen.

Psychotraumatologie
Ein Trauma ist eine extreme Stresssituation, in der alle Reaktionen auf eine normale Stresssituation wie Flucht / Angriff nicht mehr funktionieren, ausgelöst z.B. durch Verluste, schwere Erkrankungen, Krieg, Folter, sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung, Einbruch, Umweltkatastrophen.
Um von einem Trauma zu sprechen ist das Kriterium das subjektive Erleben der betroffenen Person. Absolutes Ausgeliefertsein, also Kontrollverlust, Ohnmachtsgefühle, Hilflosigkeit sind Aspekte, die dazu gehören und langfristige Folgen haben. Die Ausschüttung einer Kaskade von Neurohormonen bewirkt, dass erst einmal Gefühle wie Trauer, Wut, Verzweiflung nicht gefühlt werden.
Also ein wunderbarer Schutz, um diese traumatische Situation auszuhalten. Die andere Seite ist jedoch, dass alle Erlebnisse und dazu gehörigen Gefühle in unserem Gesamtsystem gespeichert bleiben und jederzeit, also auch über Jahrzehnte hinweg, wieder aufbrechen können. Ein Trauma wird aktiviert über unsere Wahrnehmung (Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, haptische Erfahrungen). Bei den Langzeitfolgen sprechen wir von einer posttraumatischen Belastungsstörung
(PTBS) mit Symptomen wie Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, stark erhöhte Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit, Flashbacks, Alpträume und gelegentliche Orientierungsprobleme.
Bei mehrfach traumatisierten Menschen können sich weitere Symptome zeigen wie Depressionen, Essstörungen, somatoforme Störungen und / oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen.
Veränderungen im Gehirn durch eine traumatische Schocksituation können nachgewiesen werden.

Prägende Kriegserfahrungen
Sehr viele der alten Menschen haben in ihrem Leben traumatische Erfahrungen machen müssen, die überwiegend durch Kriegsereignisse und andere persönliche Erlebnisse verursacht wurden. Allein von den Geburtsjahrgängen 1930 bis 1945 leben heute über 5 Millionen Menschen in Deutschland und über 50 Prozent von ihnen sind traumatisiert. Die meisten der jetzt alten Menschen hatten nicht die Möglichkeit ihre Traumata aufzuarbeiten, es gab schlichtweg keine Traumatherapie.
Im Erwachsenenalter können durch Beruf, Familie und bestimmte Werte wie Ordnung und Disziplin Kontrollinstanzen aufrecht erhalten werden, um das Trauma relativ gut in Schach zu halten. Doch durch verschiedenste Verluste im Alter und insbesondere durch demenzielle Erkrankungen sind die Türen für das Wiederaufbrechen eines alten Traumas weit geöffnet.(...)
Wenn ein Mensch unter den Symptomen einer Demenz leidet und die Selbstkontrolle verliert, brechen alte Traumata häufig wieder auf und werden ausagiert. Das Aufbrechen alter Traumata betrachte ich als eine menschliche Tendenz letztendlich alles im Leben zu integrieren, auch unsere „Schattenseiten“ (wie C.G. Jung sie nannte) und ich sehe, dass Demenz auch einen heilenden, nämlich integrierenden Aspekt hat. (...)

Schlussbemerkungen:
Ich bin sicher, dass Menschen mit Demenz sehr wohl mitbekommen, was man mit ihnen spricht. Es ist wohl weniger das kognitive Verstehen, sondern mehr das Aufnehmen der Botschaft des Gesagten. Geht die Sprache mehr und mehr verloren, so bleibt sie der Übermittler dessen, was hinter den Worten steht. Es geht um Trösten, Beschützen, Halt und Sicherheit geben, und das immer wieder.

(Ende der Leseprobe)

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